https://www.ingobaumgarten.de/texts/Suedkurier-Harald%20Ruppert-2005.pdf
www.suedkurier.de/friedrichshafen/kultur 10.12.2005 05:15 Auf der Suche nach dem typischen Friedrichshafen ZF-Stipendiat Ingo Baumgarten setzt sich malerisch mit der Stadt auseinander - Realistisch, menschenleer und vieldeutig Friedrichshafen Ingo Baumgarten ist Stipendiat der ZF-Kulturstiftung. Seit fünf Monaten setzt er sich malerisch mit der Stadt Friedrichshafen auseinander: "Im Zentrum meiner Arbeit steht der Mensch - nicht dargestellt durch Figuren, sondern in der Wiedergabe seiner Spuren und seines Lebensrahmens." Bild: Rüdiger Schall Ingo Baumgarten schaut aus dem hochliegenden Fenster seines Ateliers im Turm des Zeppelin-Museums, schaut quer über den See, hinüber zum Säntis, der gerade wieder ganz in Wolken eingehüllt ist. "Während des Studiums in Karlsruhe gab es eine Phase, in der ich Landschaften gemalt habe", sagt er. "Als ich mit dem konzeptionellen Ansatz, den ich machen wollte, nicht weiterkam, habe ich Leinwände ins Auto geschmissen, bin in die Landschaft gefahren und habe gemalt. Das hat mir eine einfache, schnelle Befriedigung gegeben." Diese Zeit ist lange vorüber: Ingo Baumgarten findet seine Motive heute im städtischen Raum, den er mit der entspannten Aufmerksamkeit eines Flaneurs durchstreift. Augenfällig wird ihm dabei gerade das Unauffällige: "Schon damals, bei den Landschaften, habe ich nicht etwa die spektakulären Wasserfälle im Schwarzwald gemalt, sondern eher die relativ belanglosen Täler und Hügelchen im Kraichgau: Am Horizont stehen drei Apfelbäumchen, und sonst passiert eigentlich nichts." Mit diesem Blick für das Alltägliche bewegt sich Ingo Baumgarten mit Skizzenbuch und Fotoapparat seit nun fünf Monaten durch Friedrichshafen - etwa an der Seepromenade entlang: "Wenn man an den Hafenanlagen entlanggeht, dann sieht man nicht den Bodensee, sondern die Boote, die einem nicht gehören. Boote, die mir auch nicht zugänglich sind und die versteckt sind unter ihren graugrünen Planen." Acht oder neun Bilder umfasst die Schiffsserie von Ingo Baumgarten, auf der er eben diese Perspektive festgehalten hat: Bootsrümpfe unter Abdeckungen, deren Faltenwürfe er mit dem Pinsel sorgfältig nachgezeichnet hat; futuristisch wirkende Details eines Feuerwehrboots, deren Funktionen rätselhaft bleiben; schließlich eine Abdeckhaube aus Plastik, die den darunter liegenden Gegenstand ganz verhüllt. Was sich darunter befinden mag? Auch Ingo Baumgarten weiß es nicht. Baumgartens Malerei bewegt sich jenseits des überkommenen Anspruchs an die Kunst, sie solle einen belehrenden Mehrwert zur Realität liefern, oder, besser noch, einen Gegenentwurf. Ingo Baumgarten bekennt sich zur schweigsamen und doch so vielsagenden Banalität, die uns umgibt. Er meidet die sensationelle Andersartigkeit und er versucht in Friedrichshafen das für ihn Typische dieser Stadt nicht ideell zu überdecken, sondern es gerade herauszuarbeiten. Seine Malerei ist nicht laut, sondern leise; nicht plakativ, sondern subtil; nicht eindeutig, sondern offen in der Deutung. Und darüber hinaus ist sie von einer getreuen Abspiegelung weit entfernt - das erkennt jeder, der auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule oder in den Supermarkt täglich die gleichen Wege geht und nun bei Ingo Baumgarten einzelne Ansichten wiederfindet, die stets zugleich befremden. Da ist etwa die Kreuzung Paulinenstraße/Eckenerstraße mit der Bahnunterführung: Hunderte, wohl tausende Autofahrer und Fußgänger stehen hier täglich an den Ampeln mit Blick auf ein rotes Haus, in dem seit Jahrzehnten das Büro eines Versicherungsmaklers untergebracht ist. Ingo Baumgarten hat die Ansicht auf dieses Haus und die rechts liegende Unterführung auf einem großformatigen, noch nicht ganz fertiggestellten Bild wiedergegeben. Verblüffend ist die Prägnanz dieses Bildes, die nicht nur mit der flächigen Klarheit von Ingo Baumgartens Handschrift zu tun hat, aus der er das Exaltierte verbannt hat. Der Künstler hat auch die Perspektiven verjüngt, hat sie zusammengedrängt und es so geschafft, zur Gänze die Unterführung auf die Leinwand zu bringen. Aber auch darüber hinaus gibt es Unterschiede zur Wirklichkeit: Ingo Baumgarten hat Details getilgt. So sind etwa zahlreiche Ampelmasten verschwunden, das Haus hat das Versicherungsschild eingebüßt und wirkt nun anonym. Zudem ist die sonst sehr belebte und stark befahrene Straße gänzlich verwaist. Kein Mensch, kein Auto ist zu sehen. Umso gewaltiger erscheint ein riesiges Hinweisschild, das sich über die Straße reckt und das Bild beherrscht. Insgesamt erscheint das Gezeigte vertraut und fremd zugleich. "Wenn man die Dinge auf einem Bild so wiedererkennt, wie in einem Traum, wo das Vertraute verändert erscheint - man erkennt es, aber es sieht doch anders aus - dann bin ich zufrieden", sagt Ingo Baumgarten. Das Vertraute gerät erst durch seine Veränderung in den Blick des Betrachters, der nun beginnt, seine Stadt, die ihm in Fraglosigkeit erstarrt ist, wirklich zu sehen - und sehen bedeutet hier, verwundert zu sein durch dieses Déjà- Vu-Gefühl des fremdartig Vertrauten. Ingo Baumgarten fokussiert Ausschnitte des städtischen Raumes und macht sie doch zu Sinnbildern für das Ganze. "Ich lasse Details, die ich für den Eindruck, den ich vermitteln will, irrelevant finde, einfach weg", sagt er. Solche Details sind nicht nur Ampelmasten, Verkehr oder Straßenmarkierungen, sondern eben auch Menschen, da sie leicht zum beherrschenden Inhalt eines Bildes werden und dadurch die unbelebten Bildelemente, die Baumgarten aber gerade hervorheben will, zum bloßen Beiwerk degradieren. Ingo Baumgarten geht es um den städtischen Raum als solchen, um seine Historie und seine Mentalitätsgeschichte. Beides kommt in jenem Bild von besagter Kreuzung zur Geltung: "Dieses Haus könnte in der Zeit der Kriegsrüstung entstanden sein", sagt Baumgarten. "Dieses Hinweisschild, das sich in dynamischem Winkel über die Straße reckt, erzählt etwas vom Modernismusglauben der späten 60er, frühen 70er Jahre. Und die Bahnunterführung habe ich extra noch ins Bild geholt, weil Friedrichshafen eine Stadt ist, die von der Eisenbahn stark zerstückelt ist." Ingo Baumgartens Bilder sind menschenleer, aber sie behandeln dennoch die Gesellschaft der Gegenwart, die in einem von Geschichte getränkten urbanen Raum lebt. Als er vor fünf Jahren nach einem dreijährigen Aufenthalt in Japan nach Berlin zog, wo er seither lebt, habe er "ganze Regale von Heimatkundebüchern durchgelesen". Auch mit Friedrichshafen hat er sich nun auf diese Weise beschäftigt. Er kennt den Verlauf von Zerstörung und Wiederaufbau und interessierte sich vor allem für die Zeitgeistwellen des Städtebaus, die in Heimatbüchern zum Ausdruck kommen: "Es ist ein großer Unterschied, ob ein Buch 1974 oder 1985 herausgekommen ist", sagt er. "In einem dieser Bücher wurde das fertig gestellte heutige Rathaus als Gipfel der Modernität gepriesen. Der Versuch, dieses Denken nachzuvollziehen, ist reizvoll für mich." Ingo Baumgartens Bilder erzählen in ihrer Alltäglichkeit von Friedrichshafens Geschichte. "Kennzeichnend für diese Stadt ist eine nicht besonders kennzeichnende Architektur", meint er - eine Architektur des rasch angegangenen Wiederaufbaus und, gerade in den Wohnvierteln, der Bestandspflege durch ihre Bewohner - gepflegte Idyllen, denen anzusehen ist, wie schnell sie einst hochgezogen und danach schrittweise den gesteigerten Lebensstandards angepasst wurden. Aus kleinbürgerlichen Anfängen mit bescheidenen finanziellen Mitteln ist eine Versatzstückarchitektur entstanden mit oft "aufgepfropften Umbauten", wie Ingo Baumgarten meint: An Hausfassaden kommt Schritt für Schritt "hier noch was dran und dort noch was drüber", so wie das jenes Bild demonstriert, das bald den Katalog zur Baumgarten-Ausstellung zieren wird, die von der ZF-Kulturstiftung im Januar 2006 im Zeppelin-Museum ausgerichtet wird. Das Bild zeigt einen jener Hauseingänge mit nachträglich angebrachter Überdachung und verglasten Seitenteilen, wie es sie in Friedrichshafen tausendfach gibt. Großformatig bringt Ingo Baumgarten das Dutzendmotiv auf die Leinwand und zeigt dabei, dass er Details nicht nur ausspart, sondern dass sie, ganz im Gegenteil, auch zum Auslöser eines Bildes werden können. Hier ist ihm ins Auge gestochen, dass eines der Seitenteile am Alu-Glas-Eingang des Wohnhauses nach oben hin schmaler wird - die vertikale Kante verläuft schräg, "vielleicht weil die Glasscheibe schief geschnitten und deshalb ein wenig günstiger war - ich weiß es nicht", sagt Ingo Baumgarten. Während er spricht, steht er noch immer am Fenster und schaut über den See, hinüber zum Säntis. Nein, ein Bodenseepanorama wird er in den verbleibenden drei Wochen in Friedrichshafen wohl nicht mehr malen. "Mich damit künstlerisch richtig auseinanderzusetzen ist nicht mein Ding", sagt er. "Das haben schon andere gemacht." Harald Ruppert / Südkurier, 2005
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